"Chansons pour la fin d'un jour" nennt sich das aktuelle Konzeptalbum von Wouter Vandenabeele, also: Lieder für einen sich neigenden Tag. Poesie, die ohne Worte auskommt, präsentiert von einem außergewöhnlich besetzten Instrumentalquartett: Vandenabeele - wahlweise mit Geige, Bratsche oder Mandoline - stehen der flämische Bassist Joris Vanvinckenroye sowie zwei einfühlsame Botschafter der türkischen Musiktraditionen zur Seite. Der eine, Ertan Tekin, spielt Mey, das ist die türkische Bezeichnung jener kleinen, meist aus Aprikosenholz geschnitzten Oboenart, deren Klang oft seltsam traurige Stimmungen transportiert.Was wie eine Klarinette in tiefer Lage tönt, ist manchem eher als das armenische Nationalinstrument namens Duduk bekannt. Dann ist da noch Emre Gültekin mit seinen anatolischen Langhalslauten. Zusammen präsentiert das Quartett eine Phantasiereise gen Orient, bei der die weiten Landschaften Anatoliens und des Kaukasus vorüberzuziehen scheinen.
Der Tag geht und die Nacht kommt - Die Nacht kommt und der Tag geht
Das Erzähltempo ist verträumt wie bei 1001er Nacht, die wechselnden Schattierungen im einsetzenden Dämmerlicht werden episch ausgebreitet, in Art einer Nocturne-Sammlung, bei der die jeweilige Stimmung und die Kunst der Verzierungen in den Vordergrund treten. Manchmal verschiebt sich der orientalische Background nahezu unmerklich zugunsten einer Filmkulisse aus dem historischen Flandern. Dann versetzen einen die atmosphärischen Kompositionen in die Malereien der flämischen Meister: ein Kahn, der auf einer Gracht vor den Giebelhäusern in Gent gleitet, während aus einem der Renaissancegebäude ein höfischer Tanz erklingt.
Die Kompositionen dieser anrührenden Tonmalereien stammen fast ausnahmslos aus der Feder von Wouter Vandeneabeele und Emre Gültekin. Fazit: Eine außergewöhnliche flämisch-orientalische Koproduktion, die einen der nächsten Sommerabende wortlos-lyrisch ausklingen lassen könnte - als "chansons pour la fin d'un jour".
Andreas Kisters - www.radiobremen.de